Nichts ist so besonders wie das Besondere, das man nicht erwartet hat... 



Leias Geschichte

 

Leia Sophie wurde am 29.01.2008 in Gelnhausen geboren. Es wurde vor der Geburt und auch danach erstmal keine Behinderung festgestellt. Sie war körperlich und organisch gesund.

Wir als ihre Eltern haben schon sehr schnell gemerkt, so mit etwa 3 Monaten, daß ihre Entwicklung sich nicht normal verhielt. Sie wollte nichts greifen, hatte kein Interesse an ihrer Umgebung und lautierte nicht. Auch beim Stillen dachte man manchmal, sie hätte vergessen, wie man trinkt oder warum. Unser Kinderarzt stellte dann schon bei der U3 fest, daß ihr Kopf nicht richtig mitwächst. Wir wurden mit Leia nach Gießen ins SPZ (sozialpädiatrisches Zentrum) geschickt. Dort wurden wir nur vertröstet, was für ein gut entwickeltes Kind wir haben, sie würde sich altersgemäß entwickeln, wir sollen uns keine Sorgen machen, dann es gäbe Kinder mit kleinen Köpfen, das wäre unbedenklich. Als wir bei der U4 feststellten, daß die Fontanellen fast komplett geschlossen waren, sind wir erneut im SPZ erschienen, wurden abermals vertröstet und wieder heimgeschickt mit der Aussage, wir verpassen da nichts, wenn wir abwarten, wie sie sich weiter entwickelt, es gäbe auch Nobelpreisträgerinnen mit einem extrem kleinen Kopf...Sie haben lediglich eine Chromosomenanalyse gemacht, die aber unauffällig war. Man bot uns noch, auf unser Drängen hin, einen Termin für ein MRT an, allerdings erst wenn Leia 9 Monate alt sei, wir sollen mal nichts überstürzen.

Völlig irritiert und hilflos suchten wir unseren Kinderarzt auf, der sofort einen MRT-Termin veranlasste in der Hanauer Kinderklinik. Wir waren 3 Tage später dort und bekamen das MRT gemacht. Der damalige Oberarzt kam am nächsten Tag ganz blass zu uns und versuchte uns zu erklären, was man auf den Bildern sehen konnte. Leias Kleinhirn war unterentwickelt, die rechte Hälfte noch kleiner als die linke und in sich alles viel zu klein, die Struktur sei soweit in Ordnung, aber die Myelinisierung des Marklagers sei nicht altersentsprechend. Was das zu bedeuten hatte, konnte er uns nicht sagen, er meinte von kaum sichtbar bis schwerstbehindert kann alles möglich sein, sie konnten es keinem bekannten Krankheitsbild zuordnen.

Mit dieser Aussage fuhren wir heim, völlig durcheinander und kein Stück weiter...

Schlaflose Nächte begannen, wir durchsuchten jeden Tag und jede Nacht das Internet nach den unterschiedlichsten Syndromen, nach Auffälligkeiten, nach irgendwelchen Hinweisen, was Leia fehlen könnte. Wir versuchten ihre Symptome mit denen anderer Kinder zu vergleichen und stießen irgendwann auf einen ähnlichen Fall mit der Diagnose PCH2. Wir machten einen Termin bei einem Genetiker, außerdem suchten wir uns eine Uniklinik mit einem SPZ, daß uns vielleicht ernst nahm, wir entschlossen uns für Freiburg.

Beim Genetiker wurden wir über alles aufgeklärt, was es über genetische Defekte zu wissen gab. Auf unsere Frage hin, ob man untersuchen könne, ob Leia diesen PCH2 Defekt habe, hatte er uns erklärt, daß man diese Untersuchung machen könne, allerdings nicht in Deutschland. Wir müssten das in Österreich machen lassen und mit ca. 3000 Euro rechnen, da das nicht von der Kasse übernommen werden würde.

In Freiburg hatten wir unseren Termin an Leias erstem Geburtstag, sie untersuchten Leia von Kopf bis Fuß, machten alles, was noch nicht gemacht worden war, vom EKG, EEG, bis hin zu allen möglichen Blutuntersuchungen, aber man fand nichts. Das EEG war zwar auffällig, aber nicht beunruhigend. Sie neige allerdings zu Epilepsie.

Sie rieten uns nochmal ein CGH-Array machen zu lassen, die nächste Stufe nach der Chromosomenanalyse, um nach einem Gendefekt zu suchen.

Wir ließen Blut abnehmen und das wurde nach München geschickt. Wir warteten sehr lange auf ein Ergebnis, wie wir hinterher erfuhren, kam das Blut wohl nie dort an...

Da Leia auch große Probleme bei der Nahrungsaufnahme hatte, sie konnte keine feste Nahrung essen, bekam alles püriert, haben wir eine Logopädin aufgesucht um uns mit einer Castillo Morales Therapie zu helfen, aber die hatte uns nach dem 2.Termin im Stich gelassen, war wohl mit Leias Fall völlig überfordert.

In der Zwischenzeit war Leia hart am trainieren, seit sie 9 Monate war, bekam sie nun wenigstens mal Physiotherapie nach Bobath, was unserer Meinung auch viel zu spät angefangen hat. Wir hatten 3 Termine die Woche. Leia kämpfte und die Physio machte ihr immer Spaß, sie hatte einen zu schwachen Muskeltonus, und bei Freude oder Aufregung schoß ein hoher Tonus ein und sie streckte sich, ihre Arme waren immer am kurbeln, Leia war immer in Bewegung, das ist sie auch heute noch.

Kurz vor ihrem 2.Geburtstag war es endlich soweit, Leia konnte sitzen ohne Hilfe. Ein Meilenstein war geschafft. Sie fiel zwar immernoch manchmal um, wenn die Streckung einschoss, aber es wurde immer besser. Die Zeit verging.... Leia hatte nun auch allgemeine Frühförderung.

Wir stießen dann bei unserer Sucherei im Internet auf das Forum der PCH2 Kinder und erfuhren eine ganze Menge, was Hilfsmittel anging und Antrag eines Behindertenausweis sowie Pflegestufen. Wir waren ja total unwissend, wir hatten das ja so nicht geplant... Außerdem erzählte man uns, daß die Untersuchung, herauszufinden, ob Leia PCH2 hat, in einem Genlabor in Mannheim kostenlos über die Krankenkasse gemacht werden kann. Unglaublich !

Dort machten wir natürlich gleich einen Termin. Bei der Untersuchung auf PCH2 kam dann raus, daß Leia auf den untersuchten Genen keinen Defekt hatte und es somit unwahrscheinlich sei, daß sie diese Krankheit habe. Es wurde dann nochmal ein CGH-Array in die Wege geleitet, da das andere ja leider missglückt war. Auch wir als Eltern mussten nochmal Blut abgeben. Und die Zeit verging... Wir waren zwischenzeitlich wieder in Freiburg, um nochmal fehlende Untersuchungen machen zu lassen und um das MRT zu wiederholen, um genaueres zu erfahren und den Verlauf kontrollieren zu lassen. Man riet uns an, nochmal um nichts übergangen zu haben, auch eine HNO-Klinik sowie eine Augenklinik aufzusuchen.

Im August 2010 hatte Leia dann den nächsten großen Meilenstein erreicht, sie stand morgens im Bett und als wir das sahen, liefen uns die Tränen, wer hatte das jemals gedacht, wie sie sich entwickeln kann. Leia ist eine große Kämpferin. Sie konnte sich nun alleine hochziehen.... so schön... und wenige Tage später versuchte sie sich mit einem krabbel-ähnlichem Verhalten fortzubewegen, sie sah zwar mehr aus wie ein hoppelndes Häschen, aber egal, der Kniestand war perfekt ... wunderbar.

In der HNO-Klinik in Marburg kurz vor Leias 3.Geburtstag kam dann nach einer Bera-Untersuchung der nächste Schock, Leia war rechts hochgradig schallempfindungsschwerhörig, und links mittelgradig. Die Ärzte sagten uns immer, daß sie nicht reagiere, läge an ihrem Krankheitsbild.

Also bekam Leia Hörgeräte. Und wir bekamen Frühförderung für Hörgeschädigte.

Termine, Termine, Termine....

Die Zeit nahm ihren Lauf, Leia machte immer wieder winzige Fortschritte, aber als Eltern freut man sich über Dinge, die andere nicht mal bemerken würden. Leia bekam ihre Förderung, alles was möglich war und entwickelte sich auf ihre Weise und in ihrer Geschwindigkeit. Wir hatten auch noch einen Versuch gestartet Leia logopädisch mit Castillo Morales zu behandeln, jedoch war das ein ähnlicher Reinfall wie beim ersten Mal. Zwar hatte die gute Frau aus Nidda ihr Rezept durchgezogen, aber um Leia vorzuspielen, wie eine Ente quakt und ihr dazu Bilder auf dem PC zu zeigen, das hatte Leia leider nicht so wirklich interessiert... Beruf verfehlt...

Wir waren auch wieder ins SPZ nach Gießen gewechselt, da wir einen Anruf erhielten von einer Ärztin, die sich Leias Fall annehmen wollte, sie telefonierte sehr lange mit uns, fragte nach, warum wir nicht mehr in Gießen behandelt werden wollten, wir erklärten ihr unsere Enttäuschung und sie bat uns, ihr die Chance zu geben, wieder ein besseres Bild von Gießen zu bekommen, in dem sie sich gerne Leias Fall annehmen wollte.

 

Im Oktober 2010 kam dann auch schriftlich der endgültige Befund vom Genlabor und somit Leias Diagnose. Es war nun klar, Leia hatte einen Gendefekt. Es liegt bei ihr auf dem X-Chromosom im CASK-Gen teilweise eine Duplikation vor. Sie hat ein sogenanntes Mikroduplikationssyndrom, man nennt das Krankheitsbild auch MICPCH. Ein klitzekleiner Fehler verändert einen Menschen von Grund auf. Wir als Eltern weisen auf den Genen keine Defekte auf, Leias Gendefekt ist spontan mutiert und mit mittlerweile ca. 30 bekannten Fällen weltweit um einiges seltener als ein Lottogewinn.

Zwar war es eine schwere Diagnose ohne eine Ahnung, wie ihre Entwicklung verlaufen würde, jedoch konnten wir doch irgendwie beruhigter schlafen, weil die ewige Ungewissheit weg war, die lange Suche nach etwas Greifbaren.

Leia hatte dann ab August 2010 einen integrativen Kindergartenplatz bekommen. War nicht ganz einfach, denn es ging bei ihr um eine Einzelfallentscheidung. Wir suchten für sie natürlich nicht den nächstgelegenen sonder den für sie am besten geeigneten Kindergarten aus, wir entschieden uns für die "Villa Kunterbunt" in Birstein. Der Kindergarten arbeitet in kleinen geschlossenen Gruppen, hat langjährig Erfahrung im Bereich Integration mit festangestellten I-Kräften und ist komplett mit Schallschutz versehen, was bei Leias Schwerhörigkeit von großer Bedeutung ist. Da der Kindergarten in einem anderen Kreis ist, mußten wir genau begründen, warum Leia ausgerechnet diesen besuchen muß. Wir bekamen den Platz und nach langer Schnupperzeit und Eingewöhnung, wußten die Erzieherinnen auch genau, was bei Leia zu beachten ist.

Leia war mittlerweile auch immer sicherer in der Nahrungsaufnahme, verschluckte sich nur noch selten und konnte feste leicht kaubare Nahrung zu sich nehmen.

Das war eine große Erleichterung, da sich Leia wegen ihres Gewichtes immer kurz vor der Sonde bewegte, da sie nie die Notwendigkeit erkannte, zu essen.

Die Fortschritte wurden zwar weniger, aber sie wurde sicherer in dem was sie tat und lernte viel im sozialen Bereich. Der Kontakt zu anderen Kindern tat ihr gut, sie wurde ein Stück weit selbstständiger, experimentierfreudiger und neugieriger.

Ihre Förderung verfolgten wir unaufhaltsam und verbissen, sie bekam zwischenzeitlich wiedermal Logopädie, allerdings diesmal zur selbstständigen Nahrungsaufnahme, jedoch ohne Erfolg. Wir begannen mit Ergotherapie und natürlich bekam Leia weiterhin ihre Physiotherapie.

2012 haben wir dann nochmals ein MRT in Gießen machen lassen, um herauszufinden, ob sich Leias Hirnfehlbildung verändert, ob sich etwas abbaut oder eine Verschlechterung festzustellen ist. Zum Glück hat sich das nicht bestätigt. Ihr MRT zeigte keine Veränderungen auf, was beruhigend ist, denn somit hat sie gute Chancen noch viel zu lernen... Sie wurde dort auch nochmal komplett durchgecheckt, ein EEG gemacht und eine Sonografie der Organe.

 

Wir haben erfahren, daß die Schule mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung, früher Praktisch Bildbare Schule genannt, Kinder teilweise schon ab 4 Jahren nimmt und Leia nun dort angemeldet, da sie im Kindergarten einen Entwicklungsstillstand hat. Wir sehen das aus therapeutischer Sicht die beste Möglichkeit in Förderung, um sich weiter zu entwickeln.

Leia ist nun 5 Jahre und 6 Monate. Ihr heutiger Stand ist, daß sie nicht läuft und wir auch nicht wissen, ob sie es jemals schaffen wird, denn sie hat ein gestörtes Gleichgewicht. Wir haben sie schon mit Reittherapie gefördert und durch die Physio ist es auch schon sehr viel besser geworden, aber leider kann sie sich nicht alleine halten. Einige kleine Schritte kann sie an der Hand laufen, aber sie ist auf ihren Rollstuhl angewiesen, den sie nicht selbstständig fortbewegen kann.

Leia kann nicht sprechen und auch keine Wörter verstehen, sie kann auch Bilder keinen Wörtern zuordnen. Sie wird einiges durch Zusammenhänge und Abläufe verstehen, aber wohl nie zur Sprache kommen. Sie kann sich nur durch ihre Stimmung mitteilen, die sie äußert, und man merkt, ob sie zufrieden ist oder eben nicht, was sie durch Weinen oder heftiges Kopfschlagen und Zornanfällen zeigt.

Leia kann nicht selbstständig essen und trinken, sie muß gefüttert werden und sie trinkt aus ihrer Nuckelflasche, da sie sich bisher nicht umgewöhnen ließ. Leider kann sie uns auch nicht mitteilen, wann sie Durst und Hunger hat.

Leia hat ein gestörtes Schlafzentrum. Seit sie auf der Welt ist, schläft sie keine Nacht durch. Durch ihren gestörten Tag-Nacht-Rhythmus, trinkt sie tagsüber auch viel zu wenig, so daß sie das nachts nachholt und dann so 7-10 Mal die Nacht wach wird um zu trinken.

Wie sich Leias Entwicklung weiterhin verhält, weiß nur der Liebe Gott, aber wir nehmen jeden Tag wie er kommt, die guten und die schlechten.... Leia lebt in einer kleinen Welt, aber sie ist glücklich in ihrer Welt, denn sie kennt sie nicht anders ...und wir versuchen ihr jeden Tag so schön wie möglich zu gestalten. 

Um das Ganze mal auf den neusten Stand zu bringen im Jahre 2018 muß man sagen, daß sich prinzipiell nicht wirklich sehr viel geändert hat. Leia hat den aller größten Fortschritt gemacht, als sie weit über 7 Jahre alt war und sie ihre ersten Schritte ohne fremde Hilfe gegangen ist. Wir hätte es nicht für möglich gehalten, aber durch permanentes Stabilisieren ihres Standes und den Ehrgeiz, die Neugier und die immer wiederkehrenden Routinen, hat sie es geschafft, sich zu überwinden und einfach ohne Hilfe loszugehen. Sozial und durch ihren Schulalltag lernt Leia viel im Umgang mit anderen Kindern und den Alltag. Sie zeigt mittlerweile, wenn sie Durst hat durch Umwerfen ihrer Flasche oder Zeichengeben bzw. Winken zur Flasche. Sie hat feste Rituale was den Tagesablauf betrifft und es wirft sie aus der Bahn wenn man ihre Abläufe oder ihren Willen durchbricht. Sie bekommt ein Medikament gegen ihren Reflux, da sie irgendwann immer wiederkehrende Anfälle bekam, die sehr beängstigend waren. Wir haben auch ein neues Schlafmittel, damit ihr Körper ausgeruhter ist, weil ihr enormer Schlafmangel zu den Anfällen beigetragen hat. Leider ist das Schlafen immer noch nicht annähernd zufriedenstellend, so daß wir immer noch an dieser Baustelle arbeiten. Leia wird weiterhin gewickelt und gefüttert, von der Grundversorgung hat sich also eigentlich nicht viel verändert... Wir hoffen weiterhin auf Fortschritte und geben niemals auf zu hoffen...